Donnerstag, 8. Februar 2018
Eine böse Überraschung
Wieder sitze ich im Aufenthaltsraum von Station XX. - I., die mich chauffiert hat, bleibt noch bei mir, bis ich meine Fragebögen ausgefüllt habe. Der dünne Kaffee geht auf's Haus. Nachdem ich die Papiere abgegeben habe, fährt I. nach Hause. Sie trifft sich mittwochs immer mit C. zum Schwimmen.

Eine Stunde später werde ich aufgerufen. Eine Schwester spricht die Bögen mit mir durch, misst Blutdruck und Temperatur und nimmt Blut ab. Danach geht es in einen anderen Wartebereich, wo ein Gespräch mit der Stationsärztin stattfinden soll.

Über die Sprechanlage ertönt mein Name. Ich soll in die Zahnklinik gehen. Man drückt mir meine Akte in die Hand, darauf ist ein Fotoauftrag befestigt. Ich gehe damit zur Fotografin der Zahnklinik. Das ist falsch. Als ich mich bei der Station zurückmelde, schicken sie mich wieder runter. Zuerst Gespräch, dann Foto. In der Zahnklinik wird mir ein weißer Stuhl im Wartebereich zugewiesen. Nach einiger Zeit werde ich zu einem Behandlungsplatz gerufen. Zwei Assistentinnen bitten mich, im Behandlungsstuhl Platz zu nehmen.

Frau Dr. G. erscheint, begrüßt mich freundlich und eröffnet das Gespräch mit "Ja, Herr K. ... Das sieht ja gar nicht gut aus." - da mir morgens Blut abgenommen wurde, fühle ich mich plötzlich unwohl. Dann sagt sie, dass mein Implantat nicht fertig sei. Zumindest ist es noch nicht da. Ich weiß, dass es irgendwo in Süddeutschland angefertigt wird.

Na schön. Oder nicht schön. Anstelle von 2...3 Wochen Wartezeit werde ich dann insgesamt 8 Wochen haben. Sehr zur "Freude" meiner Krankenkasse, die mein Krankengeld bezahlt. Nach der OP stehen ja noch mindestens 2...3 Wochen an, nach denen sich entscheidet, ob das Auge nachbehandelt werden muss oder nicht. Irgendwann müssen die Schrauben von OP1 raus - das wird auch nicht ohne 1...2 Tage Ausfall möglich sein.

Vorwürfe bringen nichts. Frau Dr. will wissen, ob ich noch Fragen zur OP habe. Ja, ich habe noch etwas. Danach gehe ich zurück zur Station. Die nette Schwester mit der runden Brille fragt mich nach dem Ausgang des Gesprächs. Ich habe den Eindruck, alle haben es gewusst und deswegen das Gespräch auf die Zahnklinik verlegt. " Können wir noch etwas für Sie tun?" fragt sie mich. "Ja", höre ich mich sagen. "Sie können mir etwas zu Essen geben." - Sie sagt, ich bekäme leichte Vollkost. Das wird schwierig: ich hatte morgens im Speiseplan gesehen, dass mehrere Gerichte mit Sojastreifen sind. Ein allergischer Schock könnte etwas Abwechslung bringen, überlege ich.

Außerdem gebe ich der Station Rätsel auf, weil ich auf den Fragebögen bei Nahrungsmitteln "ohne Schwein" angekreuzt habe. In Verbindung mit meiner schwarzen Seglermütze, mit der ich die Narben auf meinem Kopf zu verbergen suche, keimt offensichtlich der Verdacht auf, dies könnte religiöse Gründe haben. Ich habe allerdings bei Konfession "ev.-luth." angegeben, was der Verwirrung noch Vorschub leistet.

Der kluge Mann baut vor: ich habe immer eine Fahrkarte im Portemonnaie, mit der ich bis zur letzten Station des Verkehrsverbunds komme; von dort aus kann ich meine Abholung immer irgendwie organisieren. Da ich I. nicht erreichen kann (sie ist ja mit C. schwimmen), nehme ich Herberts Angebot an, im Notfall einzuspringen und bitte ihn, mich nach Hause zu bringen.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Dienstag, 23. Januar 2018
Wieder zuhause
Nach einer Woche in der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie durfte ich zwischen Weihnachten und Neujahr nach Hause.

Freunde kündigten ihren Besuch an. Ich ließ einen engen Kreis zu, dem ich meinen Anblick zumuten konnte. Nicht Jeder und Jedem wollte ich so unter die Augen treten. Dabei musste ich lernen, dass diese Besuche nicht nur an meinen Kräften zehrten. Mein Gesicht schwoll wieder stärker an, weil ich am Tisch nicht mehr dazu kam, den Eisbeutel ins Gesicht zu drücken.

Ähnlich verhielt es sich an den Tagen, an denen wir im Restaurant essen gingen oder an denen wir Freunde besuchten.

Kurz nach meiner Rückkehr kam mein Kollege M. zu Besuch. Er hielt allerdings meinem Anblick nicht stand. Er konnte mich nicht ansehen; die Schilderung meines Unfalls löste Zweifel bei ihm aus: warum hatte ich keine Abwehrbewegungen mit den Armen gemacht, die meine schweren Verletzungen vermieden hätten? Mit Brille und Mütze verbarg ich die schlimmsten Einzelheiten und doch merkte ich, dass M. einige Zeit brauchen würde, bis ihm das Essen wieder schmeckte.

Erst nach ungefähr zwei Wochen konnte ich keine weitere Verbesserung mehr feststellen, ob ich nun kühlte oder nicht. In dieser Zeit kündigte M. an, mich wieder besuchen zu wollen.

Mittlerweile sah ich einigermaßen erträglich aus. Die Nähte im Gesicht waren verheilt, die Mütze und die Brille taten, wie zuvor, das Übrige. Lediglich die Asymmetrie meines Gesichts fiel weiterhin auf.

Ich habe M. erklärt, dass es in der Nacht vor der OP absolut nichts gab, was zwischen mir und irgend einem Menschen gestanden hätte. Ich war in jener Nacht mit mir und der Welt im Reinen. Nichts lenkte meine Gedanken von mir selbst und meinem Willen zum Gesundwerden (Genesung) ab. Ich hatte auch keine Angst vor dem Sterben, der letzten Option.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Freitag, 12. Januar 2018
Die Nacht nach der OP
Nach der OP von Jochbein- und Nasenbeinbruch. Ich liege in meinem Bett im zugigen Überwachungsraum. Der Pfleger, der dem Amerikaner in „Gorki Park“ ähnelt (und mir daher zunächst sympathisch erschien), tritt an mein Bett und fragt mich, ob ihn sehen kann. Ich bejahe, während er nach meinem verletzten Auge greift, um das Lid hochzuziehen.

„Was sehen Sie?“ schnauzt er. Ich zähle schell auf: die Schiene an der Decke, den Ventilator, Sie, Ihr blondes Haar, vier Finger und... Er hält noch etwas in der Hand, das ich nicht erkennen kann. Seine kleine Taschenlampe, mit der er mir ins Auge geleuchtet hat.

„Ist gut, das reicht“, brummt der Amerikaner, notiert mein Sehvermögen im Protokoll und wendet sich ab.

... link (0 Kommentare)   ... comment